Schwarz-Weiß-Bild einer Reichsbanknote im Wert von 1000 Mark
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Nackte Existenzangst.

LEONHARD WEISS in der Weltwirtschaftskrise.

Göppingen, Oktober 1931. Vor Leonhard Weiß stapeln sich Rechnungen – und Sorgen. Seit diesem Monat ruht sein Betrieb, gleichzeitig wachsen seine Schulden. Es ist sogar so weit gekommen, dass er weder Steuern zahlen noch den Forderungen der Gewerbebank Göppingen nachkommen kann. Und dann ist da noch eine unbezahlte Rechnung des Krankenhauses über etwa 1.000 Reichsmark. Eine seiner Töchter musste zwei Mal operiert werden. Es ist die wahrscheinlich dunkelste Stunde in seinem Leben als Bauunternehmer. Aber aufgeben ist für ihn keine Option.

Seit vor genau zwei Jahren, am 24. Oktober 1929, eine Panik an der New Yorker Börse ausgebrochen ist, scheint die ganze Welt Kopf zu stehen. Auch in Europa brechen die Aktienmärkte zusammen. Etliche Vermögen werden zerstört, überall melden Firmen Konkurs an. Durch die Städte laufen Dauerarbeitslose mit Schildern: „Nehme jede Arbeit an“. Und die erste parlamentarische Demokratie Deutschlands, die Weimarer Republik, ist nur noch mit Notstandsgesetzen handlungsfähig. Sie versucht der Weltwirtschaftskrise mit einer strikten Sparpolitik zu begegnen – Steuern werden angehoben, Staatsausgaben minimiert. Für Leonhard Weiß als Bauunternehmer, der 90 Prozent seiner Aufträge von öffentlicher Hand erhält, ist das fatal. Wie lange er wohl noch durchhält? Das fragen sich Leonhard und Ottilie Weiß in dieser Zeit immer wieder.

Denn Leonhard Weiß hat eine Familie mit vier noch minderjährigen Kindern und den im Haus wohnenden Vater zu versorgen. Um seine Firma zu sanieren, hat er bereits versucht, eine von ihm entwickelte und in mehreren Ländern patentierte Gleiskurve zu Geld zu machen. Er wollte Grundstücke verpachten, Werkzeuge verkaufen, bewarb sich bei größeren Firmen im In- und Ausland. Vergeblich. Schließlich war Leonhard Weiß sogar bereit, seine Firma zu verkaufen – alles ohne Erfolg.

Im Oktober 1931 bittet er schließlich das Finanzamt um den Erlass der rückständigen Beträge. Denn die deutsche Wirtschaft liegt weiterhin am Boden. Im Jahr 1932 steigt die Arbeitslosigkeit sogar noch weiter auf ein Rekordhoch von 5,6 Millionen. Weil er keine Rücklagen mehr hat, um Aufträge zu finanzieren, kann Leonhard WEISS auch nicht an Ausschreibungen teilnehmen. Er verhandelt mit seinen Gläubigern, die ihm dank seines tadellosen Rufs als Unternehmer weiter Vertrauen schenken. „Meine Lage ist heute derart, dass ich nicht weiss, wie ich mir die Mittel für den nackten Lebensunterhalt verschaffen soll“, schreibt er in seinem Antrag an das Finanzamt.

Im Jahr 1932 ist das Unternehmen LEONHARD WEISS praktisch konkursreif. Und doch ist da wieder ein Funken Hoffnung. Denn vieles spricht dafür, dass die Talsohle der Wirtschaftskrise durchschritten ist. Im Sommer werden die im Versailler Vertrag festgelegten Reparationen, die von der Regierung als größtes Hindernis für eine wirtschaftliche Erholung angesehen werden, gestrichen. Bald schon zeigten die Konjunkturindikatoren tatsächlich wieder nach oben. Doch auch die politische Lage spitzt sich zu. Es gibt massiven Straßenterror von SA-Truppen. Am 30. Januar 1933 ernennt Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler.

Leonhard Weiß sieht die „Machtergreifung“ mit großer Skepsis und doch ist er froh, endlich wieder auf Baustellen unterwegs sein zu können. Der bereits einsetzende Wirtschaftsaufschwung zusammen mit den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Nationalsozialisten lässt die Bauwirtschaft boomen. Bald kann Leonhard Weiß seine Schulden begleichen, doch zum Durchatmen kommt er nicht. Die Jahre der Existenzangst, in denen er seine Firma nur knapp über Wasser halten konnte, stecken ihm weiter in den Knochen. Auch als die Auftragsbücher längst wieder voll sind.