Der Erste Weltkrieg.
Der Kampf ums Überleben beginnt.
30. September 1914, Göppingen. Das Attentat von Sarajewo, bei dem der Thronfolger von Österreich-Ungarn und seine Frau getötet wurden, war ein Funke, der eine fatale Reaktionskette im Bündnissystem der europäischen Großmächte auslöste. Im August hatte Kaiser Wilhelm II. Russland den Krieg erklärt. Wenige Wochen später wird Leonhard Weiß einberufen und schließt sich den Eisenbahnpionieren an. Er verlässt Göppingen, seine Frau Ottilie und Tochter Emma, wahrscheinlich, wie so viele, in der Hoffnung, bald wieder zurückzukehren. Doch Leonhard Weiß wird vier Jahre in der Ferne sein, im Westen und Osten.
Zu seinen Aufgaben als Eisenbahnpionierfeldwebel im Ersten Weltkrieg gehört es, die Truppen hinter der Front zu versorgen, neue Gleise zu bauen und feindliche Anlagen zu zerstören. Seine Erfahrung als Bauunternehmer und sein Wissen als Eisenbahnspezialist sind dabei sehr wertvoll. Mehrmals wird er befördert, seine militärische Laufbahn: laut Militärpass tadellos.1 Doch zuhause in Göppingen häufen sich die Probleme.
Leonhard Weiß musste für seinen Kriegseinsatz eine laufende Baustelle verlassen. Mit dem Bauherrn vereinbart er, dass dieser die Arbeiten auf Kosten der Firma LEONHARD WEISS zu Ende führt. Als die wohl unangemessen hohe Rechnung eintrifft, kommt es zum Streit und schließlich zum Prozess, der in den Kriegswirren ins Stocken gerät.
Doch nicht nur damit sieht sich die in Göppingen zurückgebliebene Ottilie Weiß konfrontiert. Die Maschinen und Materialien sind nicht ordentlich eingelagert – vielleicht weil keine Zeit war, vielleicht, weil alle mit einem schnellen Sieg rechneten. Der Firma gehen zudem die Baumaterialien aus und viele Abrechnungen sind noch offen. Als das erhoffte zeitnahe Ende des Krieges ausbleibt, macht Ottilie Weiß ihrer Verzweiflung in einem Brief an das Armeekorps in Stuttgart Luft.
Wenn nicht demnächst unsere Sachen besser geordnet und wieder Mittel beschafft werden können, so tritt der Fall ein, dass wir unseren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können (...). Ich erlaube mir daher hiermit die ehrerbietigste Bitte vorzutragen, die hohe Behörde möge meinen Mann einen mindestens sechswöchigen Urlaub genehmigen, damit er in die Lage kommt, unsere Sache zu ordnen und uns vor großem und nicht wieder einbringlichem Schaden zu bewahren
Man kann davon ausgehen, dass ihre dringlichen Worte Gehör finden und Leonhard Weiß für einige Zeit nach Hause kommt, denn im November 1916 wird Sohn Walter geboren. Leonhard Weiß ist zu dieser Zeit bereits wieder in Rumänien im Einsatz und arbeitet sich mit seinen Truppen über gesprengte Brücken Richtung Schwarzes Meer vor. Ottilie Weiß schafft es auch mit Säugling die Geschäfte am Laufen zu halten, bis ihr Mann nach der Niederlage des Deutsche Kaiserreichs zwei Jahre später endlich nach Hause darf.
Genauso schnell wie Leonhard Weiß bei Kriegsbeginn alles zurücklassen musste, nimmt er nach Kriegsende die Geschäfte wieder auf. Er kämpft um jeden Auftrag und ist noch im selben Jahr am Ausbau der Nebenbahnlinie Unterböbingen-Heubach beteiligt.5 Doch trotz der Freude über die gesunde Heimkehr werden die wirtschaftlichen Nachwirkungen des Krieges Leonhard Weiß und seinem Unternehmen noch sehr zu schaffen machen. Tod ihres Mannes im Jahr 1938 war ein schwerer Schicksalsschlag für Ottilie. Gemeinsam mit ihrem Sohn Walter und ihrem Schwiegersohn und Kaufmann Werner Schmidt übernahm sie die Leitung der inzwischen beträchtlich gewachsenen Firma. Im Zweiten Weltkrieg wird Walter Weiß zu den Pionieren einberufen. Als dieser endlich wohlbehalten nach Hause zurückkehrt, zieht sich die Firmeninhaberin zurück.